Der Täter

 Kay Diesner, 24

Neonazi Kai Diesner gesteht Attentat

Gleich zu Beginn des Prozesses gibt Diesner zu, auf einen PDS-Buchhändler geschossen und einen Polizisten getötet zu haben. Er bezeichnet sich als "germanischen Heiden" und spricht vom "Holocaust der weißen Rasse"

Lübeck (taz) - Kai Diesner aus Berlin ist ein bulliger Mann, den so leicht nichts aus der Bahn zu werfen scheint. Selbst eine Anklage wegen Mordes und des versuchten Mordes in drei weiteren Fällen nicht. Als Staatsanwalt Günter Moeller gestern zu Prozessbeginn die Anklage vor dem Lübecker Landgericht verliest, sitzt er trotzig mit aufgeworfenen Lippen zwischen zwei Polizisten und starrt stur auf den grauen Teppichboden.

Im Februar, wenige Tage nach einer Demonstration gegen Neonazis, stürmte Diesner in das Haus der PDS in Berlin-Marzahn und schoss den Buchhändler Klaus Baltruschat nieder. Vier Tage später, auf einem Parkplatz bei Lauenburg, feuerte er auf zwei Polizisten, die seine Personalien überprüfen wollten. Polizeiobermeister Stefan Grage starb an den Verletzungen, sein Kollege wurde verwundet. Während seiner weiteren Flucht schoss Diesner noch zweimal auf Beamte, bevor er sich festnehmen ließ.

Diesner gesteht seine Taten vor Gericht ohne Umschweife. Er fühle sich allerdings nicht schuldig im Sinne der "Lügenanklageschrift". Gleichzeitig betont er mehrfach, er habe nicht in Tötungsabsicht gehandelt: "Ich bin kein eiskalter Killer." Der 24jaehrige sieht sich selbst als "Einzelkämpfer" und germanischen Heiden.

Der Prozess, der sich bis Oktober hinziehen wird, ist spektakulär, vor allem wegen der Persönlichkeit Diesners. Die einen sehen in dem Nazi-Attentäter einen neuen Typus: den psychopathischen Einzeltäter nach US-Vorbild mit der abgesägten Schrotflinte im einsamen Kampf gegen alles, was er hassen muss. Für andere zeigt der Fall Diesner, dass die organisierten Neonazis zum bewaffneten Kampf rüsten. Der Berliner war vor den Attentaten fest mit dem rechten Milieu verbunden. Diesner gehörte zum engsten Kreis um Arnulf-Winfried Priem, einem der wichtigsten Neonazi-Anführer Deutschlands. Die Aussagen enthüllen die wirren Ideologien, denen Diesner anhängt. Er sei kein Rechtsradikaler, sagt er - bei aller Sympathie für die Nationalsozialisten. Er kämpfe gegen den "imperialistischen, faschistischen und rassistischen Staat BRD". Diesner bezeichnet RAF und IRA als seine Vorbilder. Er kritisiert den "Holocaust der weißen Rasse" und meint, "die kulturelle Identität der weißen Rasse wird ausgelöscht".

Der Vorsitzende Richter Franz Vilmar leitet die Verhandlung ruhig. Ohne drängende Stimme befragt er Diesner, den gelernten Feinmechaniker, liest Satz für Satz vor, was in den Ermittlungsakten steht. Vilmar, einem Mann Mitte 50, ist nicht an überstürzten Rechtfertigungen gelegen. Die gibt Diesner von sich aus. Nein, er habe sich nicht vermummt, als er aus der Hüfte auf Klaus Baltruschat schoss, sagt er. Schwer verletzen wollte er den Buchhändler auch nicht, vielmehr "nur anschießen. Der Buchhändler, der bei dem Anschlag einen Arm verlor, sollte ja später darüber berichten." Das Attentat sei ein Denkzettel gegen die PDS gewesen, eine "undeutsche Partei", weil sie das Grundgesetz akzeptiere. Wenn er Baltruschat habe töten wollen, so "hätte ich nachladen oder ihn mit dem Messer bearbeiten können". Klaus Baltruschat (63), der genauso wie die Mutter und die Schwester des toten Polizisten Stefan Grage als Nebenkläger auftritt, hört gefasst zu.

Diesner betont nicht explizit, dass er sich als politischer Gefangener sieht, doch wenn er nicht gerade seinen Kopf auf dem Handballen abstützt, kommen Sätze wie: "Staatsanwälte sind für mich Folterknechte des Staates, und die Bullen sind ihre Handlanger." Auch den erschossenen Polizisten Grage bezeichnet er als "Bullen". Dieser zähle zu jenen, denen "in den Rücken, in den Kopf geschossen werden muss, wo man sie trifft".

Der Prozess wird nächsten Freitag fortgesetzt.

Annette Rogalla

Quelle: TAZ vom 09.08.1997

Am 1. Dezember 1997 wurde der Berliner Neonazi Kay Diesner nach 15 Verhandlungstagen vor dem Lübecker Landgericht zu einer lebenslangen Haftstrafe wegen Mordes und zweifachen Mordversuchs verurteilt. Zudem wurde die besondere Schwere der Schuld festgestellt, wodurch nach 15 Jahren Haft die Reststrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann und erst nach 17 Jahren ein Haftprüfungstermin möglich wird. 
1990 hatte sich der damals 18jährige Ostberliner, der nach seiner Flucht in die BRD im Sommer 1989 im Auffanglager Friedland erste Kontakte zur NPD knüpfte, der "Nationalen Alternative" (NA) um den Neonazikader Arnulf Priem angeschlossen. Treffpunkt: Das damals von Rechten besetzte Haus in der Berliner Weitlingstraße. Dort traf Diesner auch den später aus der rechten Szene ausgestiegenen Ingo Hasselbach. Es folgten zwei Jahre intensiver ideologischer und militärischer Schulung, inklusive Wehrsportübungen auf Rügen und südlich von Berlin bei Königs Wusterhausen. Zu den paramilitärischen und ideologischen Ausbildern der NA gehörte die Crème de la Crème der Naziterrorszene: Der Österreicher Gottfried Küssel sowie Ekkehard Weil und Bendix Wendt, der laut Ingo Hasselbach als "Wehrsportbeauftragter" der NA sowohl für deren Waffenkäufe, als auch für die paramilitärische Ausbildung zuständig war und gute Kontakte zu dem Kreis der österreichischen Briefbombenbauer unterhalten haben soll. Nach Aussagen von Hasselbach nahmen auch auch die beiden Angeklagten im Wiener Briefbombenprozeß, Franz Radl und Peter Binder, an einigen Wehrsportübungen der NA teil. 

Quelle und Näheres siehe: http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/32/04b.htm

 

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